OP vom 23.06.00 Beilage "Studier´mal
Marburg" 7/8 2000 "Es
kann der Bravste nicht in Frieden trinken..." Sicherlich: Wer die deutsche
Geschichte rückblickend kritisch analysiert, der kommt unweigerlich zu dem Ergebnis, dass
es im Kaiserreich und in der Weimarer Republik meist Mitglieder von studentischen
Korporationen waren, die in Politik, Verwaltung, Justiz und Wirtschaft dominierten und
dort auf Grund ihrer nationalistischen, antisozialen und antidemokratischen Einstellung
einen verhängnisvollen Einfluss hatten und dadurch - das wissen wir heute - zu den
Katastrophen von 1914/18 und 1933/45 sehr wesentlich beigetragen haben. Niemand käme wohl auf die
Idee, jemanden für das Fehlverhalten seiner Großväter oder gar Urgroßväter
verantwortlich zu machen. Aber selbst wenn hier und da ein Enkel oder Urenkel ebenfalls
als "schwarzes Schaf" erkennbar wäre, wäre es absurd, die ganze Familie zu
verdammen oder gar ihretwegen eine allseits beliebte Veranstaltung in Frage zu stellen
oder abschaffen zu wollen. Genau das aber wird seit 1995 beim Marktfrühschoppen versucht.
Damals wurden erstmals aus dem Hinterhalt Farbbeutel geworfen, die aber nicht die bösen
Korporierten trafen, sondern arglose Gäste aus Eisenach besudelten. Dann machten
gewaltbereite Demonstranten massiven Polizeieinsatz zum Schutz der friedlichen Menge auf
dem Marktplatz erforderlich. Im Bemühen um Deeskalation wurde vor zwei Jahren dem
Marktfrühschoppen ein Multi-Kulti-Akzent gegeben, der aber wenig Anklang fand. Im
vergangenen Jahr fand offiziell kein Marktfrühschoppen statt. In diesem Jahr haben die
Stadtverordneten mit Mehrheit beschlossen, dass er künftig von der Stadt weder
veranstaltet, noch unterstützt werden solle. Inzwischen gibt es einen Bürgerverein, der zusammen mit den Wirten am Markt dafür sorgen
will, dass am 2. Juli alle Marburger/innen guten Willens bei Dixielandmusik ihr Bier
trinken können. Radikale von Rechts ebenso wie von Links sind dabei völlig fehl am
Platz. Und wenn die Marburger Stadtteilgemeinden vollzählig vertreten sind, dann wird
deutlich, dass der Marktfrühschoppen ein echtes Bürgerfest ist. Es wäre ja noch schöner, wenn wir uns in Marburg unseren Marktfrühschoppen zerreden und kaputtmachen ließen, wo man in Gießen und Frankfurt gerade entdeckt hat. Meint jedenfalls der Rathausgockel. |